1090 Lustkandlgasse 34 / Canisiusgasse 14-16
1898-1903
„Es wird eine Kirche gebaut in unserem großen, herrlichen, aber an Kirchen bettelarmen und doch Kirchen so dringend benöthigten Wien!“ Emphatisch preist der Verfasser einer Festschrift die im Jahr 1899 erfolgte Grundsteinlegung und erläutert, dass „in dieser materiellgesinnten, gottesleugnerischen und liebarmen Zeit“ eine „Denkmalkirche“, ein „Monument zu Ehren des seligen Petrus Canisius“ errichtet werde.
Petrus Canisius (1521-1597) zählte zu den ersten Mitgliedern der „Gesellschaft Jesu“, dem Jesuitenorden, der von Ignatius von Loyola im Jahr 1540 gegründet worden war, und er war einer der ersten dieses Ordens, der auf Ersuchen König Ferdinand I. im Jahr 1550 nach Wien kam. Da in Österreich der Einfluss der lutherischen Reformbestrebungen die katholischen Gläubigen mehr und mehr verunsicherte bzw. vom „rechten“ Glauben abfallen ließ, und die Universität Wien mittlerweile fest in protestantischer Hand war, sollten die herbeigerufenen Patres nicht nur theologische Vorlesungen an der Universität halten, sondern auch insgesamt helfen, das katholische Glaubensleben der Bevölkerung wieder zu stärken.
Als engagierter Kämpfer gegen die Lehren Luthers ist Pater Canisius sehr bald zum Führer der Gegenreformation geworden. Außerdem war er als Dekan der theologischen Fakultät an der Wiener Universität tätig, er war Hofprediger, „Beichtvater und Gewissensrath mehrerer Kaiser Österreichs“ und Administrator der Wiener Diözese. Auf Auftrag des Kaisers verfasste er zudem den „Katechismus“, ein Glaubenslehrbuch, das bis weit ins 20. Jahrhundert als zentrale Grundlage des Religionsunterrichts Geltung hatte.
Mit dem neuen Kirchenbau und einem anschließenden Klostergebäude sollten aber nicht nur die Verdienste des Jesuitenpaters anlässlich seines 300. Todestages gewürdigt werden. Mit der Übergabe der Kirche an den Jesuitenorden sollte zudem auch „eine Ehren- und Dankesschuld“ an diesen Orden abgetragen werden. Nachdem nämlich der Jesuitenorden 1773 von Papst Clemens XIV. aus politischen und theologischen Gründen aufgelöst worden war, wurde der Orden von Papst Pius VII. 1814 zwar wieder zugelassen, aber Kaiser Franz Joseph I. gestattete erst 1856 den Jesuiten, die Seelsorge wieder aufzunehmen. Die im 17. Jahrhundert von den Jesuiten errichtete Kirche im 1. Bezirk sowie das Kongregationshaus verblieben allerdings im Besitz des Staates und die Jesuiten durften „aus Gnade“ nur „in licht- und luftlosen Räumen wohnen“.
Nach der Gründung des „Canisius-Kirchenbauvereins“ durch die Marianische Kaufmannschaft wurde im 9. Bezirk, am sogenannten Himmelpfortgrund ein geeigneter Bauplatz gefunden und der Jesuitenpater F. X. Schwärzler beauftragt, Pläne für die Kirche sowie ein Kongregationshaus zu erstellen. Schwärzler entwarf einen Kirchenbau im sogenannten „Jesuitenstil“, d.h. im frühbarocken Stil, in dem im Jahr 1568 die Mutterkirche der Jesuiten, Il Gesù in Rom errichtet worden war, und die in Folge nicht nur in Europa, sondern auch in Indien, Latein- oder Südamerika zum Vorbild für alle neuen Kirchenerrichtungen der Jesuiten geworden ist.
Scheinbar von dem Entwurf des Jesuitenpaters nicht ganz überzeugt, wurde vom Baukomitee des Kirchenbauvereins der Wiener Architekten Gustav Neumann zur Begutachtung herangezogen. In der aktuellen Stildebatte im Kirchenbau eingebunden, wusste der Architekt, dass der barocke Stil für diese Bauaufgabe generell, insbesondere aber von der Amtskirche als „unchristlich“ ja „heidnisch“ abgelehnt wurde und er erstellte selbst einen Plan im sogenannten „Übergangsstil“. Mit der Wahl dieses mittelalterlichen Stils, der noch romanische und schon gotische Formen vereinigte, hat Neumann seinen Kirchenbau mit den damals gängigen Assoziationen „alte Tradition“, „Dauerhaftigkeit“ oder „Macht und Stärke“ in Verbindung gebracht und auf diese Weise dem Orden, der, wie in der Festschrift betont wird, vielfach bis „heute das Hauptziel der Angriffe aller Gegner der katholischen Kirche“ geblieben ist, eine solide Identifikationsbasis verschafft.
Neumann plante zwischen beidseitig angeordneten Klostergebäuden die Kirche aus der Straßenflucht zurückversetzt, so dass ein kleiner Vorplatz entstand, von dem eine breite Freitreppe in die Kirche führte. Allerdings wurde nur das rechts liegende Klostergebäude ausgeführt, so dass die Geschlossenheit dieses Platzes nicht erreicht wurde. Zwei hohe schlanke Türme tragen die Wappen der wichtigsten Spender.
Der Kirchenentwurf Neumanns zeigt eine möglichst stilgetreue Konzeption. Allerdings war ein dementsprechender Steinbau aus finanziellen Gründen nicht möglich. Um trotzdem den Eindruck eines Steinbaus hervorzurufen, hat Neumann eine bemerkenswert ökonomische Lösung gefunden. Die Kirche wurde nämlich aus billigem Ziegelmaterial errichtet und sodann mit Kunststeinplatten in Stein-Imitation verkleidet, deren authentische Wirkung vielfach bis heute selbst Fachleute zu täuschen vermögen. Kurz darauf wendete Otto Wagner bei der Steinhofkirche und der Postsparkassa auch die Methode der Plattenverkleidung an – und pries sie als seine Erfindung!
Dem Schema der Jesuitenkirchen folgend, ist der Innenraum als Saalraum mit Seitenkapellen ausgebildet. Sämtliche Altäre wurden ebenfalls in Kunststein ausgeführt und der Hauptaltar in Anlehnung an frühchristliche Vorbilder als Baldachin-Altar gestaltet. Allerdings wurde im Jahr 1956 das Presbyterium nach den Plänen des Architekten Ladislaus Hruska gravierend umgestaltet und auch die Seitenaltäre dieser neuen Gestaltung in grauen Marmor angeglichen.
Von außen ist die jesuitische Innenraumkonzeption nicht zu erkennen, statt dessen wird der Eindruck einer mittelalterlichen dreischiffigen Basilika erweckt: die Seitenkapellen sind gleichsam zu Seitenschiffen zusammengefasst und der Hauptraum der Kirche erweckt den Eindruck eines erhöhten Mittelschiffes. Bemerkenswert ist die Gestaltung der Chorpartie. Da der Bauplatz ein starkes Gefälle aufwies, hat Neumann eine mächtige mehrgeschossige Apsis konzipiert: Eine große oberirdische Krypta dient gleichsam als Sockel für einen zweigeschossigen, durch Strebepfeiler gegliederten Kapellenkranz von dem Strebebögen zum zurückversetzten Hauptchor überleiten.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde sehr oft der Chor mit Kapellenkränzen bzw. Chorumgängen umfasst. Zum Innenraum waren diese allerdings üblicherweise nicht geöffnet und dienten allein der malerischen Bereicherung des Kirchenäußeren. Bemerkenswert ist, dass demgegenüber der Kapellenkranz der Canisiuskirche zum Hauptraum zwar abgemauert, aber durch seitliche Eingänge begehbar ist. Dies ist um so mehr bemerkenswert, als diese Art der Chorgestaltungen im Prinzip allein einem Kathedralbau angemessen galt. Nicht zum Geringsten aber wurde auf diese Weise die Bedeutung dieser Ordenskirche erhöht und betont. Rundbogenfenster sind in jedem Geschoss unterschiedlich angeordnet und schon seinerzeit wurde die Gestaltung des „rückwärtigen Kirchentheiles“ als „malerisch ungemein wirkungsvoll“ gepriesen. Die Klostermauer, Baumgruppen und die später erfolgte Verbauung entlang der Canisiusgasse behindern allerdings heute weitgehend den Blick auf dieses kunst- und phantasievolle Beispiel späthistoristischer Gestaltungsweise.