2000 Manhartsstraße 24
1903
Umbau:
1938
Auf Grund des Staatsgrundgesetzes von 1867 durften sich im Staatsgebiet der Monarchie erstmals Juden ungehindert niederlassen. 1872 erfolgte in Stockeraus die Gründung eines Minjanvereins mit dem Ziel, für die kontinuierlich wachsende Gemeinde eine Synagoge zu errichten. 1901 wurde ein Grundstück gekauft und für die Finanzierung des Neubaus wurde eine breite Sammelaktion gestartet, die so erfolgreich war, dass schon kurze Zeit später der Stockerauer Architekt Leopold Holdhaus mit dem Bau beauftragt werden konnte.
Der Architekt entwarf einen rechteckigen Baukörper für rund 200 Person, für die stilistische Gestaltung wählte er neoromanisches Formenvokabular, das er an der reich dekorierten Fassade mit einem klassizierenden Ädikulaportal kombinierte. Bei den zwei Rundfenstern sowie am hohen Dreiecksgiebel kennzeichneten Davidsterne den jüdischen Tempel.
Durch den Haupteingang gelangte man in einen Vorraum, von dem man einerseits in den für die Männer bestimmte Hauptraum und andererseits zu den auf schlanken Eisensäulen ruhenden Frauenemporen gelangte. An der gegenüberliegenden Schmalseite wurde durch ein angebautes Wohnhaus bzw. ein Sitzungszimmer der Raum zu einer Apsis verschmälert, in der eine ebenfalls als Ädikula ausgebildete Nische den Thoraschrein aufnahm.
Nach dem sogenannten Anschluss 1938 wurde die Synagoge konfisziert, um sie als Magazin zu verwenden. Da die evangelische Gemeinde gerade einen Kirchenbau plante, erblickte jedoch der rührige Pfarrer in dem konfiszierten Gebäude eine günstige Gelegenheit, die Kosten eines Neubaus zu sparen. Selbst ein beflissenes Mitglied der Nationalsozialistischen Partei trat er mit der NS-Kreisleitung sowie dem Bürgermeister, ebenfalls ein Mitglied der der NS-Partei in Verhandlungen, um die Synagoge günstig zu erwerben und zu einem evangelischen Gotteshaus umzubauen. Ein Verkauf des Gebäudes wurde jedoch abgelehnt und stattdessen die – bereits enteignete – jüdische Gemeinde gezwungen, einen Schenkungsvertrag zu unterzeichnen. Als „Tausch“ stellte der Pfarrer der jüdischen Gemeinde das ursprünglich für den evangelischen Neubau vorgesehene Grundstück zur Verfügung.
Sofort wurde der Stockerauer Stadtbaumeister Herbert Jelinek mit dem Umbau beauftragt, bei der grundsätzlich alle jüdischen Merkmale entfernt bzw. überdeckt werden mussten. Die Eingangsfassade erhielt nun einen Glockenturm, die ursprünglichen Rundfenster wurden zu Rundbogenfenstern vergrößert und der Dekor wurde entfernt. Der schlichte Innenraum wurde weitgehend unverändert gelassen. Nur die Ädikulaumrahmung des Toraschreins wurde entfernt und die Nische zugemauert. Die Weihe der nunmehr evangelischen Kirche erfolgte am 6. November 1938 und das Gebäude entging damit nur knapp der Zerstörung in der Reichskristallnacht am 9./10. November.
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs weigerte sich die evangelische Gemeinde mit dem Hinweis auf den Schenkungsvertrag die Restitutionsforderungen der Israelitische Kultusgemeinde Wien anzuerkennen. Jahrelange Gerichtsverhandlungen folgten, bis die IKG unter der Bedingung einer finanziellen Abgeltung den Rückstellungsantrag 1953 zurückzog.
Ende des Jahrhunderts wurde in einer Generalsynode der Evangelischen Kirche beschlossen, in der Beziehung zu den Juden „einen gemeinsamen Weg“ zu suchen und zu gestalten. Als bei der Stockerauer Kirche in Jahren 2009-11 eine groß angelegte Generalsanierung erfolgte, wurden daher – „um ein fruchtbares Miteinander beider Religionen zu versinnbildlichen “ die Hinweise und Zeichen der ehemaligen Synagoge wieder freigelegt. Die 1938 zugemauerte Toranische wurde wieder geöffnet und mit einer Plastik des auferstehenden Christus von Leo Pfisterer versehen.
2013-14 wurde die Kirche um ein Gemeindezentrum erweitert.