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Aktuelle Seite: Mödling St. Michael
NÖS-177
Stadt Mödling

Hans Puchhammer / Günther Wawrik

1973-1975

Ab den 1920er Jahren zeigt sich der Trend, bei neuen Kirchenerrichtungen Saalräume zu konzipieren, die der Feier der Gottesdienste dienen, die aber auch für Veranstaltungen verschiedenster Art genutzt werden können. Zum Teil konnte der Altarraum durch mobile Trennwände geschlossen werden, immer blieb jedoch der Hauptraum deutlich als Sakralraum erkennbar. (mehr hier)

Im sogenannten Neusiedlerviertel im Süden Mödlings wurde auf Grund der wachsenden Bevölkerungszahl sowie der schlechten Erreichbarkeit der umliegenden Kirchen in den 1970er Jahren beschlossen, ein Seelsorgezentrum mit einer integrierten Saalkirche zu errichten. Da die Finanzierung des Neubaus vor allem durch die Vermietung des Saalraumes erzielt werden sollte, erhielten die Architekten Hans Puchhammer und Günther Wawrik den Auftrag, einen Mehrzwecksaal zu konzipieren, der sich VORRANGIG für die Vermietung eignet, und AUCH der Pfarrgemeinde als Kirchenraum zur Verfügung steht.

Die Architekten schafften den Spagat zwischen sakraler und profaner Nutzung mit großer „Flexibilität und Anpassungsfähigkeit“ (Pfarrblatt 2005). Sie schlossen den an drei Seiten frei stehenden Neubau direkt an das bereits bestehende, zweistöckige Wohnhaus an, führten dessen strukturellen Aufbau fort, kennzeichneten ihn jedoch deutlich als öffentliches Gebäude. Dies zeigt sich bereits im Erdgeschoss, das als offene Garage für die Veranstaltungsbesucher angelegt ist. Dies zeigt sich bereits im Erdgeschoss, das als offene Garage für die Veranstaltungsbesucher angelegt ist. Das erste Geschoss der Straßenfassade ist bis auf vier kleine Bullaugen fensterlos, das Obergeschoss an den drei freistehenden Seiten mit einem breiten Fensterband versehen. Eine zur Straße hin offene Treppe führt zum Veranstaltungssaal. (Ein barrierefreier Zugang wurde erst durch den späteren Bau einer Rampe an der Rückseite des Gebäudes erzielt.)

Wahrscheinlich um auch kirchenferne Mietinteressenten zu gewinnen, sollte der Neubau auf ausdrücklichen Wunsch des Pfarrers von außen nicht als Sakralbau in Erscheinung treten. Den von den Architekten vorgeschlagenen Glockenturm lehnte er strikt ab und nicht einmal ein Kreuz durfte am Außenbau angebracht werden. Nachdem von den Kirchenbesuchern jedoch die profane Außenerscheinung des Gebäudes heftig und „nicht enden wollend“ kritisiert wurde, wurde 20 Jahre nach der Weihe der Kirche die Keramikerin Irmtraut Casari beauftragt, die Fassade mit der Darstellung der Entsendung des Erzengels Michael sowie einem Fliesenband zu schmücken. Das Kreuz über dem Stiegenaufgang wurde erst anlässlich des vierzigjährigen Jubiläums der Kirche installiert.

Bei der Konzeption des Innenraums legten die Architekten großen Wert auf die praktische Nutzbarkeit sowohl als Seelsorge- als auch als Veranstaltungszentrum. Zu diesem Zweck schufen sie, wie es im Ökonomischen Pfarrblatt 1973 heißt, „zwei Haupträume – einen ständigen Sakralraum und einen Mehrzwecksaal.“

Der kleinere „Hauptraum“, der „ständige Sakralraum“, besteht im Prinzip nur aus dem Altarbereich einer Kirche und kann auch als Werktagskapelle genutzt werden. Er befindet sich in einer breiten, rund 30m² großen Nische in der Mitte der gebäudeinneren Längswand des Mehrzwecksaals. Der Altar ist unmittelbar am Übergang zum Saal aufgestellt, der bei Messfeiern die Funktion als Hauptraum für die Gläubigen übernimmt. Leichte Einzelsessel können in beliebiger Anordnung vor dem Altar ausgestellt werden.

Der kleine Sakralraum ist mit Holzpaneelen verkleidet und ein 7 x 2,20 Meter großes Betonglasfenster mit der Darstellung der Sonnengesang von Franz von Assisi gibt dem Raum seine sakrale Wirkung. Für die Benutzung des Raums als Werktagskapelle sind hinter dem Altar Kirchenbänke aufgestellt, wodurch quasi ein kleiner traditioneller Kirchenraum entstand.

Die liturgischen Einrichtungsgegenstände sowie die Kirchenbänke sind aus gitterartigen Holzkonstruktionen ausgeführt, sodass der Raum trotz der dichten Möblierung nicht überladen wirkt. Je nach Bedarf können Teile der Holzverkleidung als Seitenborde ausgeklappt werden und die Weihwasserbecken zu beiden Seiten der Nische sind zum Hauptraum hin ausschwenkbar montiert.

Der Mehrzwecksaal ist als rechteckiger, rund 450m² großer, zwei Stockwerke hoher Saal ausgebildet. Das obere Geschoss ist an den Schmalseiten galerieartig erweitert, raumhohe, verschiebbare Holzpaneele sind als Gestaltungselement in die Längswand integriert. Diese Paneele können bei Veranstaltungen im Saal durch ein ausgeklügeltes Schienensystem vor die Kapellenöffnung geschoben werden. Sie können aber auch zur Unterteilung des Hauptraums in zwei oder drei kleinere Räume eingesetzt werden, wodurch eine hohe Flexibilität für die Vermietung des Saales erzielt wurde. Mit der guten Belichtung, den variabel aufstellbaren Sesseln sowie der neutralen Gestaltung des Saals mit Holzvertäfelungen und einem rotbraunen Klinkerfußboden haben die Architekten insgesamt einen idealen Ort für Veranstaltungen jeglicher Art geschaffen.

Zu beiden Seiten der Kapellennische befinden sich eingeschossige Nutzräume wie die Sakristei, eine Garderobe, eine Küche sowie die Sanitärräume. Im Obergeschoss sind Räume für diverse Aktivitäten der Pfarre sowie eine Wohnung für den Pfarrer untergebracht.

In Anbetracht der geringen finanziellen Mittel für einen Kirchenneubau haben die Architekten mit der Zusammenführung von sakraler und profaner Nutzbarkeit einen bemerkenswerten ökonomischen Lösungsansatz gefunden, der durchaus zukunftsweisend sein könnte. Leider hat die schwindende Zahl der Kirchenbesucher Anfang 2024 die Erzdiözese Wien veranlasst, die Pfarre St. Michael aufzulösen. Das Gebäude soll von der rumänisch-orthodoxen Kirche übernommen werden.

20. Jhd.