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Aktuelle Seite: 19., Ettingshausengasse Kaasgrabenkirche
WS-19.4
19. Bezirk - Döbling

Franz Kupka / Gustav Orglmeister

1909-1910

Das Grundstück der heutigen Kirche war im 19. Jahrhundert im Besitz des Großfuhrwerksbesitzers Kothbauer, der 1883 eine kleine Kapelle erbauen ließ. Daneben betrieb Kothbauer einen Heurigen bei dem er auch Schaukeln und Schießbuden aufbauen ließ und die „Heurigenkapelle“ erfreute sich eines regen – weniger frommen als vergnügungssüchtigen - Zuspruchs, bis sie 1903 auf kirchliche Anordnung geschlossen wurde.

Daraufhin erwarb Stefan Esders das zum Verkauf angebotene Grundstück, ließ die Kapelle abreißen, und spendete Geld für die Erbauung einer Wallfahrtskirche. Esders war Besitzer mehrerer Textilwarenhäuser in Europa und betrieb in Wien auf der Mariahilferstraße das damals drittgrößte Kaufhaus der Welt (später wurde es von der Firma Leiner aufgekauft und wird derzeit von der Signa-Gruppe,  René Benko neu errichtet).

Die Architekten Gustav Orglmeister und Franz Kupka wurden mit der Planung und 1909 mit der Ausführung beauftragt. Die Architekten planten einen längsgerichteten Saalraum mit eingezogenem Chor und einer Einturmfassade im neobarocken Stil. Durch eine weitausladende hufeisenförmige Rampe, hinter der sich das Untergeschoß der Kirche mit einem Pfarrsaal und der Gruft des Stifters befinden, wird der Niveauunterschied des ansteigenden Geländes überwunden.

Für den Orden der Oblaten des hl. Franz von Sales, der die seelsorgliche Betreuung übernahm, wurde direkt an der Chorseite ein kleines Kloster angebaut. Um dem im Kircheninneren geraden Chorabschluss doch noch einen typisch barocken Schwung zu verleihen, haben die Architekten den Altar mit dem Altarbild in den Raum vorgerückt und ihn mit konkav geschwungenen, mit jeweils zwei Säulen besetzten Elementen wieder an die Rückwand angebunden.

In Anbetracht der damaligen Debatte um den richtigen Stil im Kirchenbau, in der barocke Formulierungen einhellig abgelehnt wurden, stellt sich die Frage, wie es zu diesem neobarocken Kirchenbau – dem einzigen in Wien - kommen konnte. 

Die Antwort liegt in der Bedeutung der Assoziationen, die im Historismus die Wahl des jeweiligen Stils bedingten und den Gebäuden ihre Bedeutung, ihre Geschichte einschrieben.

In der Barockepoche waren allein das Herrscherhaus, der Adel oder der Klerus befugt - und finanziell auch in der Lage - einen Kirchenbau zu initiieren und in diesem Sinn wurde der barocke Stil auch im Kirchenbau mit Macht und Reichtum assoziiert. Im 19. Jahrhundert haben die sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen nunmehr einem Bürger, einem wohlhabenden Warenhausbesitzer, zu „Macht und Reichtum“ verholfen und damit diese prestigeträchtige Kirchenstiftung ermöglicht, die mittels der barocken Stilwahl eine – den Bauherren nobilitierende - Verbindung zu den bedeutenden Kirchen- bzw. Landesfürsten der Barockepoche herstellt.

Die kleine, hell verputzte Kirche besticht nicht nur durch ihre ausgewogene Proportionalität. In der Zusammenschau mit den umgebenden Weinbergen entstand auch ein eindrucksvoll malerisches Ensemble, das die Stadt um ein kleines (neo)barockes Gesamtkunstwerk bereichert.

Bemerkenswert ist, dass in Berndorf, Niederösterreich auch von einem Bürger, einem reichen Fabrikanten, eine Kirche gestiftet wurde, und dieser hierarchische Gestus gleichfalls durch den neobarocken Stil visualisiert wurde.

Historismus