1886-1889
Der kleinen Weinhauerort Hernals war im 18. Jahrhundert ein beliebter Sommerfrischeort des Wiener Bürgertums, bis er Ende des 19. Jahrhunderts den Ruf eines berüchtigten Arbeiterviertels erlangte. Im Zuge der von England ausgehenden Industrialisierung siedelten sich in Hernals um 1800 erste größere Gewerbebetriebe an und in den 1860er und 1870er Jahren kam eine große Zahl weiterer Fabriken hinzu. Die Fabriken benötigten zahlreiche Arbeitskräfte, wodurch die Bevölkerungszahl von etwa 2.700 im Jahr 1820 auf rund 75.000 im Jahr 1889 anstieg, wobei der Großteil der Zuwanderer aus den umliegenden Ländern der Monarchie stammte.
Trotz der dichten Verbauung mit schnell errichteten Miethäusern herrschte eine massive Wohnungsnot. Schlechte Arbeitsbedingungen und hohe Arbeitslosigkeit verschärften die ohnehin schwierigen Lebensverhältnisse der von ihrer Heimat entwurzelten Menschen, und in dem überbevölkerten Gebiet kam es wiederholt zu sozialen Unruhen. Als der Orden der Redemptoristen beschloss, gerade hier eine Niederlassung zu gründen, um der „zunehmenden Verrohung“ (WBIZ 1889) entgegenzuwirken, soll Kaiser Franz Josef dann auch mit den Worten „Ja, trauen sich die Redemptoristen überhaupt dort hin?“ die Bewilligung erteilt haben.
Ein großes Grundstück wurde angekauft und der Architekt Richard Jordan mit dem Bau einer Kirche für rund 2600 Besucher sowie eines Klostergebäude beauftragt. Jordan war ein Schüler von Friedrich Schmidt und hielt sich bei der Planung an dessen eingeführten Typus des neogotischen Backsteinbaus mit einem dreischiffigen Langhaus. (mehr hier)
Bemerkenswert ist die Gestaltung der Hauptfassade. Eine der ungeschriebenen Regeln im Kirchenbau lautete, dass vor der Eingangsfassade ein Kirchenvorplatz vorzusehen ist. Unmittelbar vor der Eingangsseite der Marienkirche verläuft allerdings ein Straßenzug, aber Jordan reagierte souverän auf diese ungünstige Konstellation: Er fügte in der Mitte der Seitenfassade einen Turm an, versah dessen Erdgeschoß mit einem Blindportal und generierte auf diese Weise optisch eine breite Schein-Eingangsfassade mit einem Mittelturm. Die davor liegende Fläche bot nun genug Platz, einen weiträumigen Kirchenvorplatz zu gestalten, der die freie Sicht auf den repräsentativen, 62,40 Meter hohen Turm ermöglicht. Mit der besonders aufwändigen Gestaltung gehört er laut einem Rezensenten der Wiener Bauindustrie-Zeitung zu den schönsten, die „in und um Wien zu sehen sind“.
Im Kirchenraum verstand es Jordan, den Turm auch in funktionaler Hinsicht zu nutzen. Das Turmerdgeschoss ist als Kapelle konzipiert, die zum Innenraum hin geöffnet ist und mit der genau gegenüber angebauten Seitenkapelle gleichsam den Querbalken des obligatorischen kreuzförmigen Grundrisses ausbildet, wodurch auf die Errichtung eines kostspieligen Querschiffs verzichtet werden konnte.
Der Innenraum ist mit geschnitzten neogotischen Altären, figürlichen Darstellungen und einer grün-goldenen Schablonenmalerei ausgestattet, die eine kostbare und zugleich zurückhaltende Ästhetik wiedergeben.
1889 wurde die Ordenskirche der „Mutter der Immerwährenden Hilfe“ geweiht. Der oben zitierte Rezensent spiegelt die zeitgenössische Ästhetik wider, wenn er bei dem Bau die „Klarheit seiner organischen Struktur, den rhythmischen Zusammenhang seiner im würdigen Ernst der kirchlichen Stylgebung componierten Gebäudetheile, sowie die gutgestimmten Proportionen seiner Details“ betont.
Im Jahr 1937 wurde die Ordenskirche zur Marienpfarre erhoben.
Eingangsfassade
Chorseite