1110 Zentralfriedhof, Simmeringer Hauptstraße 234
Alter Israelitischer Friedhof, bei Tor 11
1926
Weihe 1929
In den 1920er Jahren wurde in Österreich zur Erinnerung an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs nahezu in jedem Ort, jeder Gemeinde ein Kriegerdenkmal errichtet. 1919 beschloss auch die Israelitische Kultusgemeinde, den gefallenen jüdischen Soldaten in der „Israelitischen Abteilung“ des Wiener Zentralfriedhofs ein Denkmal zu setzen. Aber erst im August 1926 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, zu dem alle in Wien ansässigen jüdischen Architekten eingeladen wurden. Unter dem Vorsitz von Clemens Holzmeister, der 1921-22 das Krematorium vis-à-vis vom Zentralfriedhof erbaute, wurde von 35 eingereichten Entwürfen dem Projekt von Leopold Ponzen der erste Preis zuerkannt.
Ponzen plante am nordöstlichen Rand des jüdischen Friedhofs, in der Nähe von Tor 11, die Anlage eines halbkreisförmigen Gräberfelds und in dessen Zentrum das Kriegerdenkmal, das sich von den zeitgleich errichteten deutlich unterscheidet. Denn im Gegensatz zu den zumeist üblichen Darstellungen von Soldaten in heroischer oder trauernder Haltung, entwarf der Architekt ein achteckiges, nach oben offenes und begehbares Bauwerk, das die Assoziation mit einem mittelalterlichen Wehrturm hervorruft, wobei die Zinnen die Form der alttestamentarischen Gesetzestafeln nachbilden. Der Eingangsbereich ist als kleiner niederer Vorbau ausgeführt und an dessen Decke die Widmung angebracht: „Die israelitische Kultusgemeinde Wien ihren im Weltkrieg 1914–18 gefallenen Söhnen“. An der Mauer gegenüber dem Eingang befindet sich eine Tafel mit einer hebräischen Inschrift und der deutschen Übersetzung auf einer schmalen Umrahmung: „Nicht wieder wird erheben Volk gen Volk das Schwert und nicht lernen sie fürder den Krieg. Jes.2,4 1914-1918 5674-5679.“
Bei der Errichtung von Kriegerdenkmälern war es üblich, die Gefallenen der jeweiligen Orte oder Gemeinden namentlich anzuführen. In diesem Sinn hat die Israelitische Kultusgemeinde bereits vor Baubeginn über Zeitungsinserate die jüdische Bevölkerung Wiens aufgerufen, Namen und Daten ihrer im Weltkrieg gefallenen Angehörigen bekanntzugeben. Auf Grund der zahlreichen Antworten wurde entschieden, im Kriegerdenkmal nur die in Wien beigesetzten Soldaten zu dokumentieren. Die rund 400 Namen wurden auf große Marmortafeln graviert und vor den Wandflächen des Oktogons aufgestellt. Zwei Marmortafeln mit den Namen weiterer Gefallener wurden in der Zeremonienhalle angebracht, die allerdings 1938 in der Reichspogromnacht niedergebrannt wurde.
Die feierliche Einweihung des jüdischen Kriegerdenkmals fand 1929 in Anwesenheit von Bundeskanzler Schober und zahlreichen Honoratioren aus dem In- und Ausland statt. Ausführliche Berichte in den Tageszeitungen betonen, dass die Festredner in Dankbarkeit den Patriotismus und die Opferbereitschaft der jüdischen Soldaten würdigten.
Von Leopold Ponzen sind keine Erläuterungen zu seinem Entwurf bekannt. Vielleicht wollte er einen ideellen Bezug zum Tempel in Jerusalem herstellen, der von den Juden als Symbol der Hoffnung und Zufluchtsort für Verfolgte gesehen wird. Oder er dachte an den Psalm 46, wo es heißt: „Mit uns ist der HERR der Heerscharen, der Gott Jakobs ist unsre Burg. […] Er setzt den Kriegen ein Ende bis an die Grenzen der Erde.“
Der Architekt konzipierte das Denkmal in einer Zeit, als der um sich greifende Antisemitismus von der jüdischen Bevölkerung zunehmend als Bedrohung empfunden wurde. Der hermetisch abgeschlossene „Wehrturm“ kann daher auch als Metapher für den Schutz vor drohender Gefahr gelesen werden bzw. als symbolischer Ort des Rückzugs vor einer zunehmend feindlich erlebten Umwelt.