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Aktuelle Seite: St. Pölten Grabmal Schmid
NÖF-55
Bez. St. Pölten

Wilhelm Frass

Bildhauer

Rudolf Frass

Architekt

1911

Die gesellschaftspolitischen Umwälzungen im 19. Jahrhundert brachte den neuen Stand des Großbürgertums hervor. Wirtschaftlich erfolgreich gelangten die Bürger zu Reichtum und Ansehen, und um ihren gesellschaftlichen Status zu demonstrieren, ließen sie nicht nur großartige Paläste für ihre Familien, sondern auch repräsentative Grabmäler für ihre verstorbenen Angehörigen errichten.

Viele der Grabmäler wurden im neoklassizistischen Stil als kleine Tempel oder in Form einer Ädikula erbaut. Für das Grabmal Schmid wählte der Wagner Schüler Rudolf Frass  die Form einer breiten Ädikula, für dessen außergewöhnliches Format der Kultschrein im Haus der Vettier in Pompeij (um 50 n.Chr.) als Vorbild gedient haben könnte. Frass übernahm dessen architektonisches Element und gestaltete es in vereinfachter Form als Umrahmung des gewaltigen Marmorreliefs, das von seinem Bruder Wilhelm angefertigt wurde.

Das aus zwei Tafeln zusammengesetzte Relief zeigt fünf überlebensgroße Figuren. Laut den Quellen soll der linke Teil den Seelenführer Hermes zeigen, der die Verstorbene ins Totenreich geleitet. Auf der rechten Seite sind die Hinterbliebenen dargestellt, die trauernd zurückbleiben.

Die männliche Figur auf der linken Tafel ist allerdings mit keiner der für Hermes üblichen Attribute, sondern mit einem Stundenglas in der Hand dargestellt. Seit dem 14. Jahrhundert wird Chronos, der in der griechischen Mythologie als Personifizierung der Zeit galt, mit diesem Attribut versehen. Ich nehme daher an, dass sich Frass eher an diesen Darstellungen der Neuzeit orientierte, um den Ablauf der Lebenszeit zu versinnbildlichen. Sei es nun Hermes oder Chronos, letztlich stellt die Ausführung der Figur, insbesondere des Kopfes mit dem akkuraten Haarschnitt, weniger einen Bezug zur Antike her, sondern weist bereits in die Zeit des Nationalsozialismus voraus, in der Frass als beflissenes Mitglied der Partei den germanischen Herrenmenschen in dieser Manier idealisieren wird.

Seit der Mitte des 19. Jahrhundert ermöglichten verbesserte Verfahren die Herstellung von kostengünstigem Kunststeinmaterial, das in die entsprechende Form gegossen, kaum von Naturstein oder Marmor zu unterscheiden ist, und den Entwurf vielfach reproduzierbar macht. Diesen Vorteil machten sich die Bildhauer nicht nur für die ornamentale Dekoration von Bauwerken, sondern auch für eine kostengünstige Herstellung von Grab- und Denkmälern zu Nutze. Auch Wilhelm Frass bediente sich dieser modernen Methode und ein Abguss der „Hermestafel“ findet sich beim Grabmal der Familie Kloss am Hietzinger Friedhof (Gr. 27, Nr, 1) sowie beim Grabmal Jan Spevák am Zentralfriedhof (NAR, Nummer 76). 

20. Jhd.