1100 Tesarekplatz 2
1990-1992
Schon zur Römerzeit wurde das Lehmvorkommen am Südhang des Wienerbergs für die Herstellung von Ziegeln genutzt. Unter Maria Theresia wurde das erste staatliche Ziegelwerk gegründet, das vor allem das Ziegelmaterial für die Instandhaltung der Stadtmauer und des Linienwalls herstellte. 1820 erwarb Alois Miesbach den Betrieb, und in der Zeit der Ringstraßenerrichtung entwickelte sich unter der Leitung seines Neffen Heinrich Drasche die Ziegelfabrik zur größten Europas. (Allein im Jahr 1862 wurden 130 Millionen Stück Ziegel hergestellt.)
In den 1960er Jahren wurde der Betrieb unrentabel, die Ziegelwerke stillgelegt und das gesamte Areal von der Stadt Wien erworben. In den 1970er Jahren entstand auf einem rund 120 Hektar großem Gelände das „Erholungsgebiet Wienerberg“ und am südwestlichen Rand wurde die große, autofreie Wohnhausanlage „Otto Probst Siedlung“ für rund 10.000 Bewohner projektiert.
Für die Gestaltung dieses neuen Wohngebietes wurde 1980 ein städtebaulicher Wettbewerb ausgeschrieben, aus dem der Architekt Otto Häuselmayer als Sieger hervorging und mit der Planausarbeitung beauftragt wurde. Wie der Architekt berichtet, hat er auf Wunsch der Erzdiözese Wien „im Zentrum der Wohnhausanlage“ zusätzlich noch einen „Kirchenbauplatz“ eingeplant.
Häuselmayer hat allerdings nicht nur einen Platz für den Kirchenbau geschaffen. Durch das Einbeziehen weiterer, für die Bewohner wichtige Gebäude in die Platzgestaltung hat er der Siedlung zu einem funktionalen und lebendigen Zentrum verholfen. Denn auf dem großzügig dimensionierten, nach einem sozialdemokratischen Politiker benannten Tesarekplatz befinden sich neben der von ihm selbst erbauten Kirche mit Pfarrzentrum auch die von Gustav Peichl geplante Volksschule, der Kindergarten von Heinz Tesar sowie ein Wohngebäude mit Geschäften und Lokalen von Helmut Wimmer und Rudolf Lamprecht.
Mit zurückhaltender Eleganz dominiert der schlichte Kirchenbau den Platz. Die strahlend weiße Fassade erhielt eine prägnante, segmentbogenförmig abgeschlossene Glasoberlichtzone, der niedere Glockenturm neben dem in eine Nische eingefügten Eingang ist in halber Breite in den Kirchenplatz hineingezogen. Eine transparente Stahlkonstruktion verleiht dem Turm Leichtigkeit und signifikante Modernität.
Für die Gestaltung des Innenraums entwarf Häuselmayer gemeinsam mit dem Statiker Wolfdietrich Ziesel „ein modernes Filigran-Stahltragwerk mit dreigliedrigen Stützen, das den Kirchenraum in drei Schiffe teilt und ein Buchholztonnendach trägt. Ein rundum verlaufendes Oberlichtband macht den Raum hell und lässt das Tragwerk leicht erscheinen.“
Der Architekt betont, dass ihm für die „architektonische Charakteristik“ die Kirche Notre-Dame-du-Travail in Paris (erbaut 1901) als Vorbild gedient habe. Tatsächlich kennzeichnet eine filigrane Gusseisenkonstruktion den Innenraum dieser Kirche. In ihrer „architektonische Charakteristik“ präsentiert sie sich allerdings als neoromanischer basilikaler Kirchenbau des Späthistorismus. (Wenige Jahre später wird der Architekt für den Entwurf der Kirche St. Cyrill und Method im 21. Bezirk seinen eigenen, hier errichteten Kirchenbau als Vorlage heranziehen.)
Im Innenraum trennt eine Querwand eine Werktagskapelle vom Hauptraum. Der Altar befindet sich auf einem weit in den Raum hineingezogenen Altarpodest, das an drei Seiten von den Kirchenbänken umfasst ist, um den Gläubigen eine vertiefte Teilhabe an der Liturgiefeier zu ermöglichen. In diesem Sinne ist auch die zentrale Aufstellung des Taubrunnens im vorderen Bereich der Kirchenbänke zu verstehen.
Außergewöhnlich ist die Gestaltung der Altarwand. Sie wirkt wie ein großer hölzerner Kasten, der in den Altarpodest hineinragt. Tatsächlich ist hier jedoch eine Trennwand zur Werktagskapelle ausgeführt, die sich in ihrer gesamten Breite öffnen lässt und damit die Möglichkeit schafft, den Hauptraum zu vergrößern, wodurch eine modern interpretierte Apsis entsteht. Bemerkenswert ist, dass die Kapelle damit ihrerseits bei geschlossener Trennwand eine seichte Apsis für den Altar erhielt, während die Negativform dieses früher so bedeutenden Gebäudeteils in den Hauptraum hineinragt. Bei geschlossenem Zustand wird die Wand anlassbedingt geschmückt.
Die Werktagskapelle ist von der Apsis aus konisch erweitert. Die konkave Rückwand greift die Segmentbogenform des Kirchendaches auf und findet in der konvexen Ausbildung des Vorraums der Kirche und der darüber liegenden Empore seine konträre Entsprechung. Die Empore und der Treppenzugang sind wie die Deckenverkleidung aus hellem Birkenholz ausgeführt und wirken durch einfache Gitterstäbe-Brüstungen leicht und schwebend. Als später ein Kirchenchor gegründet wurde, stellte sich allerdings die Empore aus akustischen Gründen als ungeeignet heraus.
Bei Bodenuntersuchungen für den Kirchenbau stieß man auf ein dichtes Netz von Holzpfählen aus der Errichtungszeit der Ziegelwerke. Bewusst einen Bezug zur Geschichte des Wienerberges herstellend, hat Häuselmayer „als Zitat die nordwestliche Eckstütze [der Kirche] auf einem historischen Pfahl aufgesetzt.“
Während der unsichtbare Pfahl die Assoziation mit der historischen Vorgeschichte der neu geschaffenen Siedlung lediglich in einem höchst symbolischen Akt herzustellen vermag, knüpft der Architekt mit der dreischiffigen Konstruktion des Kirchenraums hingegen deutlich erkennbar an den traditionellen Kirchenbau der vergangenen Jahrhunderte an – vermutlich, um dem Neubau historische Legitimität in einem modernen, in der architektonischen Formensprache der Siedlung geschichtslosen Umfeld zu verleihen. Den Seitenschiffen keine Funktion zuweisend, scheint es dem Architekten somit vor allem darum gegangen zu sein, den historischen Konnex zu bewahren und einen wichtigen sakralarchitektonischen Topos zu zitieren, zugleich aber ein modernes architektonisches Ensemble zu schaffen, das in der Materialwahl und Gestaltung des Baukörpers die gesellschaftliche Aufbruchstimmung und den Zeitgeist jener Jahre widerspiegelt.
Mit der ausgewogenen Proportionalität, der einheitlichen Ausstattung aus hellem Birkenholz sowie der guten Belichtung erfuhr der Kirchenbau breite Zustimmung, und ein reges Pfarrleben zeigt, dass hier eine lebendige neue Gemeinde entstanden ist.