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Niederösterreichs Kirchenbauten im 20. Jahrhundert - ein Überblick

Die Architektur des 20. Jahrhunderts entzieht sich entschieden einer homogenen stilistischen Epochenzuordnung in dem Sinne, wie beispielsweise das Hochmittelalter im Stil der Gotik seinen architektonischen Ausdruck fand oder das 17. Jahrhundert im Stil des Barock. Denn nach der insbesondere im Kirchenbau noch lange en vogue gebliebenen historistischen Bauweise des 19. Jahrhunderts entstand eine Vielzahl an unterschiedlichen Architekturströmungen, die weder in ihrem gesellschaftspolitischen Anspruch noch ästhetisch auf einen Nenner gebracht werden können. So entwickelten sich bereits parallel zum Historismus der Jugendstil und der Heimatstil, die wiederum in kurzer Abfolge durch den Internationalen Stil, die Neue Sachlichkeit, den Bauhaus-Stil, den Kubismus, den Expressionismus, die Postmoderne, den Brutalismus und noch etliche mehr Konkurrenz erhielten, sodass den Architekten des 20. Jhds. eine vergleichsweise große Bandbreite an Interpretationsmöglichkeiten der Bauaufgabe „Kirche“ zur Verfügung stand, wobei im evangelischen Kirchenbau dieselben gestalterischen Prinzipien galten wie im katholischen.

Aus diesem Grund muss bei der Analyse von Kirchengebäuden des 20. Jahrhunderts die Suche nach generellen „Stilmerkmalen“ zwangsläufig ins Leere führen bzw. bringt eine solche Suche nur wenige aussagekräftige Ergebnisse. Stattdessen erscheint es ergiebiger, die Bautätigkeit in ihre zeitlichen und strukturellen Zusammenhänge zu stellen, um jenen Faktoren nachzuspüren, welche die Gestaltung der Kirchenbauten im Einzelnen beeinflussten. 

Am Beginn des 20. Jahrhunderts

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden sakrale Neubauten in der Regel weiterhin wie im 19. Jahrhundert als dreischiffiger Langhaustypus mit einem längsgerichteten Hauptraum, einem deutlich abgesetzten Chor sowie ein oder zwei Türmen errichtet. Laut den Vorgaben der Amtskirche wurde auf mittelalterliche Stile zurückgegriffen, die häufig mit Heimatstilelementen kombiniert wurden. Vor allem um 1900 wurde den Kirchenbauten zudem durch asymmetrische Kompositionen, vielfältige Gliederungen und Anbauten gerne ein malerisches Erscheinungsbild verliehen. (Abb. 1 Pfarrkirche Dobermannsdorf)

Die gleichzeitig von Otto Wagner initiierte Frühe Moderne mit ihren Jugendstilelementen brachte indessen keinen spezifischen neuen Kirchenbaustil hervor. Allerdings schmückten einige wenige Architekten die Fassaden ihrer neogotischen oder neoromanischen Entwürfe mit einzelnen secessionistischen Motiven, und insbesondere bei den Innengestaltungen wurden die modernen Dekorelemente vermehrt aufgegriffen. (Abb. 2 Pfarrkirche Pressbaum) Diese rein oberflächlich gehandhabte Dekorweise blieb jedoch eine Modeerscheinung, die sich bereits nach kurzer Zeit überlebt hatte.

Die Zwischenkriegszeit

Der Erste Weltkrieg brachte sodann einen weitgehenden Stillstand der Bautätigkeit im Sakralbau mit sich. Nach Ende des Krieges mussten vor allem Kriegsschäden repariert werden, allerdings fallen in diese Zeit auch mehrere Projekte, in denen bestehende Kirchen durch Zubauten vergrößert wurden. An Neubauten entstanden auf Grund der wirtschaftlichen Lage allenfalls kleine, einfache Ortskapellen.

In den 1920er Jahren setzten in Deutschland liturgische Erneuerungsbestrebungen ein, die dem Altar eine zentrale Bedeutung zuwiesen und eine vertiefte Einbeziehung der Gläubigen bei der Messfeier zum Ziel hatten. Der in Deutschland tätige Architekt Domenikus Böhm war ein großer Anhänger dieses „christozentrischen“ Idee, die er in „Meßopferkirchen“ architektonisch umsetzte. Er hob die Trennung des Priesters von den Gläubigen durch den vom Laienraum deutlich abgegrenzten Chorraum auf, indem er dem Altar als Mittelpunkt der Messfeier und der Gemeinde einen Platz im Hauptraum der Kirche zuwies. Hinzu kam seine damals nicht unumstrittene Forderung, dass der Priester die Messe zu den Gläubigen hingewendet zelebrieren sollte.

Der österreichische Architekt Robert Kramreiter war zu dieser Zeit Assistent von Architekt Böhm und brachte diese Ideen nach Österreich, als sich in der Ära des Austrofaschismus ab 1933 eine regere Kirchenbautätigkeit vor allem in Wien entfaltete.

Die architekturtheoretischen Voraussetzungen für die Gestaltung von Kirchenbauten hatten sich nun grundlegend geändert. Die in den vorangegangenen Jahrzehnten extensiv diskutierten Fragen der „richtigen Stilwahl“ bzw. des „richtigen Kirchenbaus“ sowie die Vision eines „eigenen“, für Österreich charakteristischen Nationalstils waren nun kein Thema mehr. Und auch die Amtskirche beharrte nicht mehr auf die strikte Einhaltung ihrer mittelalterlichen Stil-Präferenzen.

Es entstanden formal vereinfachte, dekorlose, vorwiegend weiß verputzte Betonbauten, die auf Grund der liturgischen Anforderungen und einer versachlichten Ästhetik zumeist aus einzelnen geometrischen Körpern zusammengefügt wurden. Statt in sich gegliederter, die Verbundenheit der Bauteile betonender Bauwerke entstehen auf diese Weise architektonische Konglomerate, in denen der Turm, Kapellen, die Sakristei etc. als additiv aneinander gefügte Element erscheinen. (Abb. 3 Pfarrkirche Edlach a.d. Rax) Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass diese neue, in Zeiten des erstarkenden Nationalismus und Totalitarismus sich etablierende Gestaltungsweise als „Internationaler Stil“ beinahe weltweit Verbreitung gefunden hat.

Die Innenräume wurden als saalartige Gemeinschaftsräume konzipiert und äußerst schlicht ausgestattet. Sie erhielten zumeist flache Holzdecken, weiß getünchte Wände und nur wenige Bilder in einer naturalistischen, vereinfachten Bildsprache. Offensichtlich konnten sich die Architekten jedoch nur schwer entschließen, die Sonderstellung des Altars aufzugeben und ihn in den Laienraum zu rücken. Denn fast immer wird dem Hauptraum eine mehr oder weniger deutlich ausgeprägte Apsis angefügt.

Der vorkonziliare Kirchenbau

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stand vor allem der Wiederaufbau im Vordergrund, der wiederum häufig mit der Vergrößerung bestehender Kirchen Hand in Hand ging. (Abb. 4 Pfarrkirche Amstetten-Ulmerfeld)

Ab den 1950er Jahren setzte dann ein wahrer Kirchenbauboom ein. Generell wird die sachliche Gestaltungsweise der Vorkriegszeit fortgesetzt, aber in einem erstaunlichen Variationsreichtum weiterentwickelt. Es entstanden teilweise überdimensionierte, monumentale Kirchenbauten, deren Haupträume entweder als blockhafte Kuben ausgeführt oder in einzelne geometrische Grundformen aufgelöst sind. Auch im Äußeren finden sich alle Variationsmöglichkeiten vom mächtig hohen (Abb. 5 Pfarrkirche Prinzersdorf) bis zum schlichten niederen Turm, vom unscheinbar flach gedeckten Hauptraum bis hin zum markanten, häufig asymmetrischen Giebeldach.

Diese große Bandbreite der Gestaltungsmöglichen erlaubte es sogar, Neubauten wiederum in einem typisch traditionellen Bauschema des 19. Jhd. zu errichten. Am Außenbau wird diese retrospektive Gestaltungsweise in der Regel durch den Einsatz von historistischen Heimatstilelementen zum Ausdruck gebracht. (Abb. 6 Pfarrkirche Droß)

Die Kircheninnenräume werden generell als Gemeinschaftsräume konzipiert, der Altar bleibt aber wie bei den Bauten der Zwischenkriegszeit mehr oder weniger deutlich vom Laienraum getrennt. Da viele Gläubige eine vollkommen ungewohnte Gestaltungsweise „ihrer“ Kirche ablehnten, ist dies auch als Zugeständnis an die Kirchenbesucher zu werten. (Abb. 7 Pfarrkirche St. Valentin-Langenhart). Um eine grundlegende Akzeptanz für die architektonischen Neuerungen zu erreichen, wurde nicht nur dem Altar ein herkömmlicher Ort zugewiesen, sondern es wurde fallweise auch auf weitere traditionelle Gestaltungs- bzw. Konstruktionselemente zurückgegriffen. Allerdings werden diese stets durch Modifizierungen und Veränderungen in den modernen Baukörper integriert, wobei die Verfremdungen jedoch nur so weit gingen, dass das herkömmlich Vertraute noch erkennbar blieb. In diesem Sinne wurden häufig Spitz- oder Rundbogenfenster eingesetzt, die an mittelalterliche Fensterformen erinnern sollten. Fallweise wird im Innenraum auch die Wirkung von traditioneller Dreischiffigkeit hervorgerufen, allerdings ohne den Seitenschiffen die althergebrachte Funktion zuzuweisen und ohne eine konstruktive Plausibilität dafür ins Treffen führen zu können. (Abb 8. Pfarrkirche Neuda ). Deutlich erkennt man auch die Evokation von Vertrautem, wenn etwa ein gotisches Netzrippengewölbe zu einer modernen Deckengestaltung umgeformt wird. (Abb. 9)

Auf Dekor wird an sich jedoch weitgehend verzichtet, und gestalterische Möglichkeiten werden vor allem in den Fensterformen (Abb.10 Pfarrkirche Alt-Nadelberg) und in der Ausbildung der Türme gefunden, die fallweise neben dem Kirchenbau errichtet wurden (Abb. 11).

In den Innenräumen wurden für die Architekten die Deckengestaltungen zu einem wichtigen Ort schöpferischer Kreativität. Elemente aus Beton oder Holz (Abb. 12 Pfarrkirche Bad Traunstein) oder auch die Kombination beider Materialien (Abb. 13 Pfarrkirche Leopoldsdorf) werden phantasiereich eingesetzt und tragen wesentlich dazu bei, jedem Kirchenbau eine spezifische Raumatmosphäre zu verleihen.

Der nachkonziliare Kirchenbau

Das 2. Vatikanische Konzil (1962-65) brachte grundsätzliche Änderungen im Kirchenbau mit sich. Die Forderungen der liturgischen Erneuerungsbewegung wurden nun zur offiziellen Bestimmung, und in den bestehenden Kirchen wurden Volksaltäre eingerichtet, was häufig auch eine Umgestaltung des Chorraumes mit sich brachte. Bei Neubauten wurden zentrale Haupträume konzipiert und der Altar rigoros in den Laienraum, zum Teil sogar in das Zentrum verlegt. (Abb. 14 Pfarrkirche Langenzersdorf-Dirnelwiese).

Um die Eingliederung des Altars in einen Gemeinschaftsraum zu bewirken, erfolgten auch einige bemerkenswerte Kirchenvergrößerungen (Abb. 15 Pfarrkirche St. Pölten-Viehofen).

Die Grundrisse beruhen zunächst vor allem auf dem Quadrat. Später finden sich der Kreis als Viertelsegment, das Dreieck, das Oktogon sowie die Ellipse. (Abb. 16 Evangelische Kirche Klosterneuburg)

Die Belichtung der Innenräume erfolgt häufig durch schmale, rundum laufende Fensterbänder, die an den Wänden unmittelbar unter der Decke angebracht sind. (Abb. 17 Pfarrkirche Ma. Enzersdorf-Südstadt)

Türme verloren an Bedeutung und wurden allenfalls als singuläre, schlichte Glockenpfeiler neben den Kirchenbauten errichtet. Oft wurde kein Turm geplant, manchmal wurde er erst später auf Wunsch der Pfarrgemeinde dem Kirchenbau zugefügt.

Zumeist wurden die Kirchen als „Mehrzweckräume“ konzipiert, um der Gemeinde neben der Liturgiefeier auch sonstige Veranstaltungen zu ermöglichen. Bei der Kirche in Gerasdorf-Kapellerfeld hat Franz X. Goldner sogar acht verschiedene Verwendungszwecke – angefangen von der Liturgiefeier bis hin zu Tanz- und Sportveranstaltungen - geplant. (Abb. 18 Pfarrkirche Gerasdorf-Kapellerfeld)

Auf Grund der verschiedenartigen, auch profanen Verwendungsmöglichkeiten mussten für die liturgische Ausstattung, wie z.B. den Tabernakel, neue Räume geschaffen werden. Jeder neue Kirchenbau erhielt nun eine Werktags- oder Wochentagskapelle, die als abgetrennter Teil des Hauptraums oder als extra Anbau geplant wurde. Fallweise wurden diese Kapellen sogar in angrenzenden Gebäuden wie dem Pfarrhof untergebracht.

Wo es finanziell und örtlich möglich war, entstanden vielgliedrige Seelsorgezentren, in die der Kirchenraum integriert wurde. Das Einziehen beweglicher Trennwände eröffnete der Gemeinde die Möglichkeit, auch größere Veranstaltungen durchzuführen. Zum Teil wurde der Hauptraum durch die Verbindung mit der Werktagskapelle vergrößert, zum Teil konnte zusätzlich noch der Pfarrsaal miteinbezogen werden (Abb. 19 Pfarrkirche St. Pölten-Stattersdorf)

Da das Konzil keine Bestimmungen zur äußeren Gestaltung der Neubauten erließ - sondern im Gegenteil ausdrücklich die „Freiheit in der Kunst“ betonte - ergab sich ein weites Feld für die architektonische Interpretation der traditionellen Bauaufgabe, und es entstand eine Vielzahl von bemerkenswert verschiedenartigen Kirchengebäuden. Auffallend ist, dass den Seelsorgezentren zumeist keine dezidiert sakrale Wirkung verliehen wird und sie sich auf den ersten Blick oft nicht von Profanbauten unterscheiden lassen. (Abb. 20 Seelsorgezentrum Krems-Mitterau) Wohl deshalb wurde in vielen Fällen erst später – entgegen der ursprünglichen Planung – ein Turm hinzugefügt oder ein deutlich sichtbares Kreuz am Gebäude angebracht bzw. in unmittelbarer Nähe aufgestellt. Die meisten Gebäude wurden als flachgedeckte, niedere Stahlbetonbauten errichtet, jedoch dienten teilweise die farbigen Kontraste von Sichtziegeln oder rötlichen Lecasteinen der Gliederung und optischen Auflockerung der Baukörper.

In Niederösterreich wurden die meisten Kirchenneubauten des 20. Jahrhunderts vor dem vatikanischen Konzil errichtet. Der gesellschaftliche Bedeutungsverlust von Religion und der daraus resultierende Schwund an Kirchenbesuchern führte schließlich auch hier zur weitgehenden Stagnation dieser einst so bedeutenden Bauaufgabe, die bis heute anhält.