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Aktuelle Seite: 16., Herbststraße Plecnik Kirche
WS-16.3
16. Bezirk - Ottakring

Josef Plečnik

1911-1913

Um die Jahrhundertwende hatte sich der 16. Bezirk durch die Ansiedlung von Fabriken und den Zuzug von Arbeitern aus den Ländern der Donaumonarchie zu einem der größten und ärmsten Arbeiterbezirke Wiens entwickelt. Um der latenten Gefahr von Arbeiterunruhen zu begegnen, sollte daher mit der Errichtung einer Kirche in Verbindung mit einem Versammlungssaal, einem Pfarrhof und einem Zinshaus eine „Missionsstätte christlich-sozialer Bestrebungen“ entstehen.

Mit der Erstellung von Plänen wurde Josef Plečnik, ein Schüler Otto Wagners beauftragt. Der aus Laibach/Ljubljana stammende Architekt war tiefreligiös und fühlte sich dem von der Heimat entwurzelten Arbeiterproletariat eng verbunden. In Rückbesinnung auf das Urchristentum wollte er daher mit dem Kirchenbau einen Ort schaffen, wo die Gläubigen im einfachen und daher vertrauten Ambiente religiösen Rückhalt und gemeinsam mit dem Priester soziale Zusammengehörigkeit erfahren sollten.

Um seine Ideen umzusetzen, erstellte Plečnik mehrere Entwürfe und sein letzter Entwurf wurde 1910 bei der Baubehörde eingereicht, und auch Erzherzog Franz Ferdinand vorgelegt - bei dem die Pläne allerdings auf große Ablehnung stießen. An eine „Mischung aus Venustempel und russischem Bad und Pferdestall, respektive Heumagazin“ erinnert, verlangte er einen neuen Entwurf im „Maria-Theresia-Stil“, d.h. im barocken Stil. Plečnik lehnte es jedoch entschieden ab, ein aufwändigeres, in Anbetracht des ärmlichen Umfelds unpassendes Projekt zu entwerfen. Das hatte allerdings zur Folge, dass jegliche finanzielle Unterstützungen gestrichen wurden und Plečnik auch keinen Rückhalt mehr bei den beteiligten Personen und Institutionen fand.

Nur der Kaplan Franz Unterhofer, der Initiator des Bauvorhabens, stand zum Architekten und seinem Entwurf und 1911 wurde mit dem Bau – allerdings mit vielen Abstrichen von den anfänglichen Plänen - begonnen.

Plečnik hatte ursprünglich eine offene Vorhalle geplant, die sich über die gesamte Breite der Fassade erstrecken sollte. Auf Wunsch des Kirchenbauvereins musste er jedoch sein Projekt umarbeiten und er wählte als neue Fassade einen übergiebelten Portikus, um als „arc de triomphe“ (Plečnik) dem schlichten Bauwerk zu einem würdigen „Entree“ zu verhelfen. Aus Kostengründen musste der Architekt allerdings auch bei dieser neu geplanten Eingangsgestaltung Reduktionen vornehmen: die Fassade hätte durch Steinverblendungen der Säulen und Relieffelder an den Mauerfüllungen ein weniger puristisches Erscheinungsbild erhalten sollen.

Plečnik errichtete die Kirche aus Stahlbeton, dem schon damals billigsten Baumaterial, an dem ihn insbesondere die variablen Gestaltungsmöglichkeiten interessierten. Die Schmelzer Pfarrkirche zählt demnach zu den ersten Stahlbetonkirchen Europas, die das Material als künstlerisches Ausdrucksmittel unverkleidet und unverputzt zur Wirkung kommen lässt. Nicht zum Geringsten wollte Plečnik aber auch mit dieser billigen Materialwahl eine dem Arbeiteralltag vertraute Sprache wählen, so wie er etwa auch mit den Drahtgläsern der Eingangstüren Zitate aus der Industriearchitektur heranzog.

Um im Sinne des Urchristentums eine optimale „demokratische“ Verbindung der Gläubigen mit dem Priester zu gewährleisten, hat Plečnik einen beinahe quadratischen Grundriss gewählt. Da er jedoch den frühchristlichen mehrschiffigen Kirchentypus als Idealplan für den Kirchenbau schätzte, hat er auf bemerkenswerte Weise auch diese „Urform“ berücksichtigt. Um die Wirkung des Gemeinschaftsraums nicht zu beeinträchtigen, hat er an den Seitenwänden Emporen eingezogen und damit gleichsam eine modifizierte Dreischiffigkeit geschaffen, die den Eindruck eines zum Altar längsgerichteten Raumes hervorruft. Da Plečnik für die Emporen Träger für Brückenkonstruktionen - ein weiteres Element aus der Industriearchitektur – einsetzte, konnte er auf stützende Säulen verzichten, womit er zugleich die damals breit diskutierten Forderung nach einem ungehinderten Blick der Gläubigen zum Altar optimal berücksichtigte.

Die Ausstattung des Innenraums wurde nur ansatzweise nach Plečniks Konzept ausgeführt. Insbesondere die Gestaltung des Altars und der Altarwand von Adolf Otto Holub widersprach seinen Vorstellungen. Sein ursprünglicher Plan war, die Ausgestaltung der Kirche von Künstlern der Beuroner Schule ausführen zu lassen, deren schlichte, flächige Gestaltungsweise seinen Vorstellungen christlicher Kunst weitgehend entgegenkam.

Bemerkenswert ist die Krypta, die Plečniks Arbeitsweise mit dem Stahlbeton deutlich macht: die Form der Kapitelle ergibt sich aus der Schalung, und um die Nüchternheit des unverputzten Materials zu mindern, hat er die Oberflächen zum Teil verschiedentlich aufgeraut und stellenweise dem Beton zerriebenes Ziegelmaterial beigefügt, um auch farbige Akzente zu setzen.  Die Inneneinrichtung  wurde von Plečnik selbst entworfen und konnte nur ausgeführt werden, da er zum Teil die Finanzierung übernahm.

Das ambitionierte Projekt als „Seelsorgezentrum“ aber blieb sowohl programmatisch als auch baulich ein Torso: die heute unmotiviert wirkenden Flügelanbauten hätten die Verbindungen zum ursprünglich geplanten Zinshaus sowie zum Pfarrhof herstellen sollen und vom vorgesehenen Glockenturm wurden nur die Fundamente ausgeführt.

Dessen ungeachtet stellt gerade diese Kirche eine beachtliche, auf die Zukunft hinweisende Leistung dar: Mit der Konzeption eines Versammlungsraums für eine mit dem Priester gleichberechtigten Glaubensgemeinschaft realisierte Plečnik einerseits bereits die Vorstellungen der liturgischen Erneuerungsbestrebungen der 1920er Jahre, die sodann nach dem 2. Vatikanischen Konzil (1966-65) zur Vorschrift wurden. Andererseits hat Plečnik mit der Auslotung der gestalterischen Möglichkeiten des unverputzten Betons bereits eine Verfahrensweise erprobt, die insbesondere in den 1960er bis 1980er Jahren im sogenannten „Brutalismus“ zu außergewöhnlichen Ergebnissen führte. (z.B. Wotrubakirche in Wien 23.)

20. Jhd.