1140 Gruschaplatz
1906-1908
Schon um 1500 wurde in Baumgarten, einem aus rund 40 Häusern bestehenden Vorort Wiens, von einem gewissen Pankraz Höritzer eine kleine Kirche gestiftet. Die spätgotische Kirche war einschiffig und mit einem unverhältnismäßig hohen Fassadenturm errichtet worden.
Bis Anfang des 19. Jahrhunderts vergrößerte sich der Ort nur geringfügig und die rund 370 Bewohner lebten vom Weinbau und Milchhandel. Mit dem Bau der Westbahn sowie der Errichtung einer Reihe von Fabriken und Wohnhäusern wuchs jedoch die Einwohnerzahl und die mittelalterliche Kirche mit 120 Plätzen wurde zu klein.
Unter der Federführung des damaligen Pfarrers wurde daher das 50-jährigen Regierungsjubiläums Kaiser Franz Josephs im Jahr 1898 zum Anlass genommen, einen Kirchenbauverein zu gründen, um die finanziellen Mittel für einen Neubau zu beschaffen. Nur spärlich langten Spenden ein, aber als der Architekt Ludwig Zatzka, Erbauer der nahe gelegenen Breitenseer Kirche, dem Kirchenbauverein beitrat, änderte sich die Situation: als Stadtrat der Gemeinde Wien konnte er Bürgermeister Karl Lueger als Ehrenpräsident des Kirchenbauvereins gewinnen und dieser sorgte für einen beträchtlichen finanziellen Zuschuss. Daraufhin leistete auch der diözesane Wiener Kirchenbauverein einen Beitrag. Und nachdem zwei Baumgartner Familien in der Nähe der bestehenden Kirche die nötigen Grundstücke zur Verfügung gestellt hatten, konnte 1905 mit der Planung der Kirche begonnen werden.
Auf Empfehlung Ludwig Zatzkas wurde der Architekt Franz Biberhofer mit dem Entwurf für die Kirche betraut. Dieser verstarb jedoch kurz nach Fertigstellung der Pläne und der Auftrag wurde dem Architekten Moritz Otto Kuntschik übertragen, der allerdings darauf bestand, das gesamte Kirchenprojekt nach eigenen Vorstellungen neu zu erstellen. Nachdem er mehrere Entwürfe vorgelegt hatte, erfolgte schließlich im Mai 1907 im Beisein Kaiser Franz Josefs und Bürgermeister Karl Luegers die feierliche Grundsteinlegung.
Kuntschik projektierte einen konventionellen, basilikalen Langhausbau mit einem breiten Querschiff, einem Rundchor und einer mächtigen Doppelturmfassade, die er in der Art eines romanischen Westwerks konzipierte: die zwei Türme sind zu einem Sockel verbunden, aus dem nur die obersten, oktogonalen Turmgeschosse mit hohen Dachhelmen herausragen. Mit neoromanischem Formenvokabular und Heimatstilelementen verlieh er der Fassade eine romantische Aura und malerisches Flair: In den Turmhelm hineinragenden Giebelchen und die kleinen, blümchenartigen Fensterchen erinnern an bäuerliche Zierbänder. Ein kleiner Erker im Zusammenstoß der Türme, ein Balkon, der auf einem markanten Rundbogenfries ruht, Wappenapplikationen sowie Rautenbänder schaffen idyllische Akzente. Zwei trutzig wirkende, allerdings funktionslose Mauersteine neben der stilisierten Fensterrose lassen ein wenig Burgenromantik einfließen. Zu der kompakten Fassade passt der massive, triumphbogenartige Portalvorbau auf kräftigen Säulen mit neoromanischen Kapitellen.
Während Kuntschik an der Hauptfassade konservative Ansprüche berücksichtigte (mehr hier), hat er bei der Gestaltung des übrigen Baukörpers modernen Pragmatismus bewiesen. Die seitlich zurückversetzten Treppentürmchen, die Langhauswände sowie die Chorseite sind sehr schlicht und kostengünstig mit Sichtziegelfeldern in Putzrahmen ausgeführt. In den vorspringenden zweistöckigen Anbauten zu beiden Seiten des Chors befinden sich im Erdgeschoss die Sakristei und die Werktagskapelle, die frühere als Taufkapelle diente. Im Obergeschoss sind eine Paramentenkammer bzw. ein Raum für die Ministranten eingerichtet. Der schmale, um den Chor herumgeführte Verbindungsgang erhielt als Abschluss eine kleine Terrasse - mit dem durchbrochenen Geländer setzte Kuntschik dann doch auch an der Chorseite einen malerischen Akzent.
Im Kircheninneren hat Kuntschik moderne, d. h. zeitgemäße Forderungen berücksichtigt: das kurze dreischiffige Langhaus hat ein stark verbreitertes Mittelschiff und schließt an ein sehr breites Querschiff an, so dass durch diesen beinahe zentralisierenden Effekt möglichst vielen Gläubigen die zunehmend geforderte gute Sicht zum Altar ermöglicht wird.
Das imposante Apsisgemälde von dem akademischen Maler Hans Zatzka, einem Bruder des Stadtrates, liest sich quasi als who is who der Personen, die an der Entstehung der Kirche beteiligt waren: Auf der rechten Seite sind der Architekt knieend mit Dreieck, Zirkel und Bauplan, Bürgermeister Dr. Karl Lueger im hermelinverbrämten Mantel sowie die Stifter des Kirchenbaugrundes verewigt. Auf der linken Seite kniet – fast liegend - der Statthalter von Niederösterreich, Graf Kielmannsegg, dahinter befindet sich eine Gruppe weiterer Wohltäter und Spender. In der Mitte des Gemäldes überreichen zwei Engel das Modell der Kirche der Hl. Anna, Patronin der Kirche. Links steht der Hl Franziskus als Stellvertreter Kaiser Franz Josephs, rechts der Hl. Borromäus, dem der Künstler die Gesichtszüge des Pfarrers Carl Eder, den Präsidenten des Kirchenbauvereins verliehen hat.
Kuntschiks Kirchenbau fand seinerzeit breite Anerkennung und wurde in der Zeitschrift „Der Bautechniker“ insbesondere wegen der außergewöhnlichen Fassadengestaltung als „eine der originellsten neueren Wiener Kirchen“ gepriesen.