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Aktuelle Seite: 10., Antonsplatz Antonskirche
WS-10.2
10. Bezirk - Favoriten

Franz Neumann

1896-1901

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war das vor dem Linienwall gelegene Gebiet des heutigen 10. Bezirks (Favoriten) weitgehend unverbaut geblieben. Erst mit Beginn der Industrialisierung begann eine florierende Bautätigkeit. Es entstanden Fabriken und zahlreiche Wohnhäuser und insbesondere durch Heinrich Drasches großräumig ausgebaute Ziegelfabrik - die größte Europas in der 2. Jahrhunderthälfte - entwickelte sich Favoriten nicht nur zu einem der bedeutendsten Industriebezirke Wiens, sondern auch zu einem überaus dicht besiedelten Arbeiterbezirk, der vor allem von Tschechen bewohnt wurde.

Zur Aufrechterhaltung einer „geordneten und ersprießlichen Seelsorge“ war der Bau einer neuen Pfarrkirche dringend notwendig geworden. Kardinal Anton Gruscha, Fürsterzbischof von Wien, beschloss daher, anlässlich seines 50jährigen Priesterjubiläums einen Kirchenneubau in Favoriten zu fördern und stellte zu diesem Zweck auch eine beträchtliche Summe aus den Mitteln des Wiener Kirchenbauvereins zur Verfügung. Von der Gemeindeverwaltung wurde zudem ein großzügig bemessenes Grundstück kostenlos abgetreten, um auch die Errichtung einer Schule, eines Pfarrhofs und einer Parkanlage zu ermöglichen. Mit der Erstellung der Pläne wurde der Wiener Architekt Franz Neumann beauftragt.

Kardinal Gruscha hatte den Wunsch geäußert, dass zur Erinnerung an seine langjährige Tätigkeit in der Basilika St. Anton in Padua die Bauweise der neuen Kirche an die „venetianisch-lombardischen Kirchenbauten anschließen“ solle. In diesem Sinn entwarf Franz Neumann einen groß dimensionierten Sichtziegelbau, der wie die Kirche St. Anton in Padua von mächtigen Kuppeln bekrönt wurde. „Die stylisitische Durchführung gemahnt an die italienischen Vorbilder der romanischen Stylweise ohne sclavische Unterordnung“ (ZÖIAV) Dieses gigantische Bauvorhaben konnte allerdings aus Kostengründen nicht realisiert werden. Die Größe des Bauwerks wurde daher reduziert und nur eine Kuppel ausgeführt.

Neumann hat den Bau streng symmetrisch gegliedert und durch die Anwendung verschieden farbiger Ziegel, den Einsatz von Stein und von Putzflächen sowie durch farbige Mosaikbilder das damals geschätzte malerische Erscheinungsbild erzielt. Die zwei hohen, schlanken Haupttürme zu beiden Seiten der Fassade sollten, wie der Architekt betonte, der „Facade eine für die Platzgrösse nothwendige Breitenentwicklung“ verleihen und zugleich die „Kuppel uneingeengt zur Geltung“ bringen.

Der Kirchenraum mit Platz für 3000 Personen ist als dreischiffiges Langhaus mit einem breiten Querschiff angelegt. Typisch für die Entstehungszeit ist der „im Sinne des katholischen Cultus vollends abgeschlossen von dem Gläubigerraum angelegte“ Chor mit dem Altar – nur rund 20 Jahre später begannen die Bestrebungen, die räumliche Trennung zwischen Priester und Gläubigen möglichst zu vermeiden, was sodann im 2. Vatikanischen Konzil zur Vorschrift wurde.

Um „die große Schar der religiös gleichgültigen Arbeiter“ durch die Verkündigung der Heilslehre verstärkt an die Kirche zu binden und „so der stets schwelenden Gefahr von Unruhen in diesem Bezirk entgegenzuwirken“ wurden die Wände als „erbauliches Armenevangelium und herrliche Bilderbibel“ mit Fresken szenischer Darstellungen aus dem Alten und Neuen Testament unter „reichlicher Verwendung von Gold“ geschmückt. Jeden Sonntag wurden sechs Messen gelesen, wobei besonderes Gewicht auf die „volksbildnerische“ Predigt gelegt wurde.

Nach der schweren Beschädigung im Zweiten Weltkrieg wurde nur der Außenbau originalgetreu wieder hergestellt. Der Innenraum wurde weiß getüncht und nur der Chorraum mit Fresken im Stil der 1960er Jahre ausgestattet.

Im Vergleich mit den zeitgleich errichteten Wiener Kirchen war Neumanns Kirche mit der Kuppel und der breiten Fassade eine außergewöhnliche und neue Konzeption. Sein Wunsch, einen „Wechsel in der Charakteristik der Kirchenbauten eintreten [zu] lassen“, hat sich allerdings nicht erfüllt. Sein Bauwerk erreichte keine Vorbildwirkung und auch er selbst hat bei der wenige Jahre später errichteten Donaufelder Kirche (Wien 21.,) wieder das damals übliche Langhausschema mit einer Einturmfassade aufgegriffen.

Historismus